* 29. Januar 1924
† 8. Mai 1990
von Stefan Drees
Essay
Nonos Schaffen ist eine vielschichtige Gesamtheit eng miteinander verflochtener Projekte. Die jüngere, auf dem Nachlass basierende Forschung macht auf das Problem aufmerksam, dass jede Werkübersicht, die sich ausschließlich an den veröffentlichten Kompositionen orientiert, einen zentralen Aspekt dieses Schaffenszusammenhangs übersieht. Die Analyse jenes Prozesses, der vom ersten Auftauchen einer Idee über ihr Verwerfen und ihre modifizierte Wiederaufnahme bis zu ihrer Verwirklichung in völlig abweichender Form reicht, zeigt, dass Nono bei der Realisierung seiner Kompositionen häufig auf Gedanken zurückgriff, die in ganz anderen Kontexten entstanden waren, und dass seine Projekte oft über den Zeitraum vieler Jahre hinweg reiften, bevor sie ihre endgültige Gestalt annahmen.
Da der Komponist seine Skizzen nur selten datiert hat, ist ihre zeitliche Einordnung oft unsicher und lässt sich häufig lediglich aufgrund thematischer Schwerpunkte und stilistischer Eigenarten vornehmen. Eine genaue Betrachtung zeigt allerdings, dass Sujets, Texte, konzeptionelle und musikalische Ideen aus einigen nicht realisierten oder unvollendeten Projekten später in andere Werke eingingen. Dieses Verfahren des Rückgriffs auf ältere Materialien ist ein wesentlicher Bestandteil von Nonos Arbeitsweise, der sich an vielen veröffentlichten Kompositionen nachvollziehen lässt. Sein verstärktes Auftreten in den letzten Werken verweist auf eine generelle Unabgeschlossenheit der kompositorischen ...